Studienreise des Freundeskreises vom 6.-10. August 2019 nach Berlin
Der Freundeskreis des Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat das Humboldt-Jubiläum in diesem Sommer in den Mittelpunkt einer Studienreise gestellt und sich in Berlin auf Spurensuche nach dem großen preußischen Naturforscher begeben. Wie nahe kann man Alexander von Humboldt heute noch kommen in dieser Stadt, in der er 1769 geboren und von 1827 bis zu seinem Tod 1859 die meiste Zeit gelebt und gearbeitet hat?
Von Ralf Omlor
Der erste Eindruck nach der Ankunft am Hauptbahnhof in Berlin ist in dieser Hinsicht ernüchternd: Keine auffälligen Hinweise auf das Jubiläumsjahr Alexander von Humboldts. Offenbar gibt es größere und wichtigere Ereignisse in dieser Stadt. Am ersten Abend dann ein Themenrundgang durch Berlin-Mitte mit Ingo Schwarz, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften viele Jahre die Forschungsstelle zu Alexander von Humboldt geleitet hat. Ingo Schwarz hat über Jahrzehnte Humboldts Korrespondenz erforscht und editiert. Wenn eine Handschrift Rückschlüsse auf die Person zulässt, dann muss Ingo Schwarz Alexander von Humboldt also nahezu persönlich kennen.
Der Rundgang beginnt in der Jägerstraße, wo das Stadthaus der Familie Humboldt stand und Alexander von Humboldt vielleicht auch geboren wurde. Heute steht hier das Gebäude der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Gleich gegenüber, auf der anderen Straßenseite, erinnert eine Gedenktafel an die Schriftstellerin Rahel Varnhagen von Ense, in deren literarischen Salons auch der junge Alexander von Humboldt zu Gast war. Nur wenige Schritte weiter führt Ingo Schwarz uns zur Remise der Mendelssohn-Gesellschaft und weist darauf hin, dass die wissenschaftlichen Erfolge Alexander von Humboldts ohne die engen Freundschaften zur Familie Mendelssohn kaum möglich gewesen wären. Schon die Finanzierung der kostspieligen Südamerikareise war über das Bankhaus Mendelssohn abgewickelt worden. In seinen späteren Jahren bewahren die Mendelssohns Humboldt dann vor dem finanziellen Ruin. Im weiteren Verlauf des Rundgangs wird deutlich, dass keines der Häuser mehr erhalten ist, in denen Alexander von Humboldt nach seiner Rückkehr nach Berlin wohnte. Auch nicht sein letzter Wohnsitz in der Oranienburger Straße. Es gibt also keinen Ort, an dem man die Präsenz des rastlosen Gelehrten noch erahnen könnte. Beim Rundgang mit Ingo Schwarz, vorbei an der Humboldt-Universität, der ehemaligen Singakademie und der Museumsinsel hat man dennoch das Gefühl, Alexander von Humboldt etwas näher gekommen zu sein.
Am zweiten Tag der Reise geht es nach Potsdam und dort zunächst in den Botanischen Garten. Das hätte wahrscheinlich auch Alexander von Humboldt so gemacht. Schon während seiner Studienzeit hat er auf allen seinen Reisen neben Bibliotheken, Sternwarten und sonstigen Forschungsreinrichtungen stets auch die Botanischen Gärten besucht und deren Pflanzenbestand studiert. Das war essenziell für die Vorbereitung seiner Südamerikareise und später auch für deren Auswertung. Wir werden von Kerstin Kläring, der technischen Leiterin des Botanischen Gartens der Universität Potsdam und ihrem Team herzlich empfangen. Bei Führungen durch das Freiland und die Gewächshäuser lernen wir die Schwerpunkte dieses vielfältigen Gartens kennen. Thema des Rundgangs sind auch die Pläne für die Überarbeitung des Paradiesgartens auf der gegenüberliegenden Seite der Maulbeerallee, wo neue Themenbeete und Einrichtungen für die Bildungsarbeit entstehen sollen. Der Paradiesgarten existierte schon zu Humboldts Zeiten. Friedrich Wilhelm IV. hatte ihn 1840 als sehr privaten Rückzugsort mit einem Stibadium nach römischem Vorbild anlegen lassen. Alexander von Humboldt wird diesen Garten sehr wahrscheinlich besucht haben.
Am Nachmittag dann die Besichtigung von Schloss Sanssouci. Und hier eine überraschende Begegnung mit Editha von Haacke, die uns durch das Orangerieschloss führt. Sie stell sich als Hofdame der Königin vor und sei wohl 1835 nach der vorzeitigen Rückkehr von der Italienreise des Königspaares „aus Ihrer Zeit gefallen“. Na, dann habe sie doch sicher den berühmten Alexander von Humboldt gekannt? Aber sicher. Er hat doch häufig bei Hofe dem König und seiner Gesellschaft vorgelesen. Auch sie habe ihm gerne zugehört. Allerdings sei es auch anstrengend gewesen, ihm über Stunden zu folgen, er habe immer so viele Gedanken miteinander verbunden. Nicht wenige der Hofgesellschaft seien bei seinem Vortrage auch eingeschlafen. Nun ja, was soll man davon halten. Interessant und unterhaltsam war der Rundgang mit Editha von Haacke auf jeden Fall.
Der dritte Tag der Reise verspricht eine weitere Annäherung an Alexander von Humboldt. Wir besuchen den Botanischen Garten und das Botanische Museum Berlin in Dahlem. Auch hier ein sehr herzlicher Empfang für die Freunde des Mainzer Botanischen Gartens. Albert-Dieter Stevens, der Leiter der wissenschaftlichen Sammlungen begrüßt uns im Eingangsbereich des Museums. Es folgen Führungen durch die Saatgutbank für gefährdete Wildpflanzen und durch das Herbarium tief im Keller unter dem Museum. Hier lagern etwa 3,8 Mio. getrocknete Pflanzenbelege. Unter den historischen Sammlungen ist auch das Herbarium Willdenow erhalten. Carl Ludwig Willdenow hatte Alexander von Humboldts 1788 als jungen Mann an die Botanik herangeführt und stand seither in engem Austausch mit ihm. Bereits während der Südamerikareise schickte Humboldt getrocknete Pflanzen an Willdenow und erlaubte ihm erste Veröffentlichungen zu diesem Material. Wir sehen unter anderem einen Beleg des Paranussbaumes (Bertholletia excelsa Bonpl.), den Aimé Bonpland und Alexander von Humboldt im Mai 1800 in Venezuela gesammelt haben. Es ist nur ein einzelnes Blatt dieser bis zu 70 m hoch werden Baumart, das durchgeschnitten wurde, damit es auf den Papierbogen passt. Ehrfurchtsvolle Betrachtung! Am Nachmittag dann Führungen durch den prächtigen Botanischen Garten einschließlich der nichtöffentlichen Welwitschien-Sammlung.
Vierter Tag der Reise. Es geht in die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Standort Potsdamer Straße. Eindrucksvoller Bau aus den 1970er Jahren! Hier empfängt uns der Leiter der Handschriftenabteilung, Eef Overgaauw und erläutert uns die Entstehungsgeschichte dieser Bibliothek der Superlative. Ausgangspunkt war die 1661 gegründete kurfürstliche Bibliothek. Wir sind hier, um mehr über den Nachlass Alexander von Humboldts zu erfahren. Spätestens seit der Staatsbibliothek 2013 der Ankauf der amerikanischen Reisetagebücher glückte, gibt es hier die größte Sammlung handschriftlicher Originaldokumente Alexander von Humboldts. Die berühmten Reisetagebücher können aus konservatorischen Gründen zwar nicht im Original gezeigt werden, aber sie sind inzwischen digitalisiert und online leicht zugänglich. Wir sehen stattdessen Notizblätter und Originalzeichnungen Humboldts, viele davon skizzenhaft auf kleinen ausgeschnitten Zettelchen. Sie geben einen Einblick in die Arbeitsweise Humboldts und die Entstehung seiner wissenschaftlichen Werke. Erst vor wenigen Wochen ist das Buch Alexander von Humboldt- das zeichnerische Werk erschienen, in dem solche Originalskizzen erstmals neben den später gedruckten, künstlerisch ausgearbeiteten Abbildungen veröffentlicht sind. Sehr spannend! Die Aura dieser Originaldokumente zieht alle in ihren Bann.
Kleiner Imbiss in der Cafeteria der Staatsbibliothek, und weiter geht es in das Berliner Museum für Naturkunde. Die große Halle dominiert von mächtigen Dinosauriern, am hinteren Ende das berühmte Berliner Exemplar des Archäopteryx in einer abgedunkelten Kammer. Muss man gesehen haben! Unsere Mission gilt aber weiter Alexander von Humboldt, dem in der Mineraliensammlung zum 250. Geburtstag ein Themenschwerpunkt gewidmet ist. Das Museum beherbergt mehr als 1.100 Objekte, vorwiegend Mineralien und Gesteine, die durch Alexander von Humboldt in die Sammlungen gelangt sind. Viele davon hat er selbst auf seinen frühen Studienreisen, während der Südamerikareise oder während der Sibirienreise gesammelt. Da wir speziell das Thema Humboldt angefragt haben, bekommen wir noch ein ganz besonderes Exponat zu Gesicht. Dafür verlassen wir den öffentlichen Bereich des Museums und betreten einen Saal, in dem sich seit Jahrzehnten offenbar wenig verändert hat. Lange Reihen großer Vitrinen mit unzähligen Vogelpräparaten. Mächtige Adler, argwöhnisch schauende Käuze und dann, unter einer zusätzlichen Glasglocke, ein zerzauster Vasapapagei aus Madagaskar. Humboldt-Kenner wissen, was es damit auf sich hat. Es ist der berühmte Papagei, der mehr als 30 Jahre mit Alexander von Humboldt lebte. Humboldt hatte ihn 1828 als Geschenk des Großherzogs von Weimar erhalten. Im Januar 1859, nur wenige Monate vor Humboldts Tod, war der Vogel verendet und zur Präparation ins Naturkundemuseum gelangt. Der Papagei soll einen einzigen Satz gekrächzt haben: „Viel Zucker, viel Kaffee, Herr Seifert“, eine Anweisung die Humboldt seinem Diener Seifert wohl recht häufig und nachdrücklich gegeben haben muss.
War das nun der Moment, an dem wir der Person Alexander von Humboldt am nächsten gekommen sind? Der ausgestopfte Papagei hinter doppeltem Glas gibt keine Antwort. Wir verlassen nachdenklich den Vogelsaal. Draußen scheint noch immer die Sonne, und Berlin hat sich in den 160 Jahren, die der Papagei hier schon verbracht hat, nicht wenig verändert. Der letzte Abend der Reise hat dann für jeden seine eigenen Attraktionen.
Fotos: Ralf Omlor, Andrea Zahn, Martina Zimmer